Darum Kunstvereine!

Die Geschichte der Kunstvereine in Deutschland


von Astrid Vits

„Die Liebe für das Schöne“  - so lautet einer der wichtigsten Punkte im  Gründungsprogramm der Kunstvereine, mit dem ihre erfolgreiche Geschichte in Deutschland begann. Ein Schutzbund für „Das Gute, Wahre und Schöne“ wollten sie sein mit der sich selbst auferlegten Verpflichtung, sich besonders der jungen, experimentellen Kunst zu widmen. Wie sinnvoll, ja sogar unerlässlich dieses Vorhaben  werden sollte, wird deutlich, wenn man sich einmal die Geschichte der Kunstvereine in Deutschland genauer ansieht. Allein die aktuellen Zahlen lesen sich beeindruckend: Über 1.500.000 Besucher pro Jahr erleben die Kunst von etwa 6000 Künstlern an 300 verschiedenen Ausstellungsorten (250 von ihnen vertritt der AdKV, der Dachverband deutscher Kunstvereine) mit insgesamt 120.000 Mitgliedern. Damit leisten Kunstvereine eine wichtige Basisarbeit mit dem Ziel, auch Kunst, die noch nicht vom Markt absorbiert worden ist, Raum zu geben und für alle Menschen erlebbar zu machen.

Das ist einmalig auf der Welt.

Eine solche Kunstszene, wie sie die Kunstvereine in Deutschland repräsentieren, gibt es im Ausland nicht. Bereits die allerersten Kunstvereine haben mit ihrer Gründung in den Jahren zwischen 1800 und 1840 die Produktion und Bedeutung von Kunst und die Rolle der Künstler sowie der Rezipienten völlig neu definiert. Das aufstrebende Bürgertum hegte damals den Wunsch, zwischen Laien und der Gegenwartskunst zu vermitteln. Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur sollte nicht länger dem Adel vorbehalten sein, die Profilierung des Einzelmäzens in Zukunft vermieden werden. „Wandschmuck“, der bisher nur der Aristokratie zugänglich war, sollte zum Allgemeingut werden. Vereine im Allgemeinen und Kunstvereine im Besonderen wurden damit sozusagen Ausdruck von Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums und so ein wichtiger Teil auf dem Weg in eine demokratische Gesellschaft.

Die ältesten Kunstvereinen in Deutschland

Zu den ältesten Kunstvereinen in Deutschland zählen die Albrecht-Dürer-Gesellschaft in Nürnberg (gegründet 1792), der Kunstverein Hamburg (1817) und der Badische Kunstverein in Karlsruhe (1818). Die meisten Kunstvereine verstanden sich damals als Aktiengesellschaften beziehungsweise als so genannte Losvereine. Mitglieder des Kunstvereins erwarben Aktien, woraus sich das Kapital des Vereins zusammensetzte, mit dem er wiederum Kunstwerke erwarb. Diese wurden dann per Losverfahren unter den Mitgliedern aufgeteilt oder gingen zum kleinen Teil in die vereinseigene Sammlung über. Je mehr Aktien ein Mitglied besaß, desto eher bestand die Möglichkeit, ein Kunstwerk zu erhalten - denn leider waren die Gewinnchancen nicht allzu groß. Diejenigen, die leer ausgingen, bekamen die so genannten Nietenblätter: meist eine druckgrafische Wiedergabe des original (Öl-)Bildes.

Der Sinn des Losverfahrens bestand darin, dem aufstrebenden Bürgertum den Zugang zur Kunst auch finanziell zu ermöglichen. Man wollte die mitunter hohen Preise für Werke (die der Adel und die bürgerliche Elite dafür bezahlte) unterlaufen. Nicht zu unterschätzen ist natürlich auch das Gefühl der „Ehre“, ein Kunstförderer zu sein: Eben weil nicht jedem ein Kunstwerk zugelost werden konnte, war die finanzielle Investition der Mitglieder in den meisten Fällen mehr eine wohltätige Gabe, die vor allen den Künstlern zugute kam. Aber sie unterstützte die Herausbildung einer Künstlerpopulation, die den Kunstmarkt wiederum positiv belebte: Weil das Bürgertum jetzt nach Kunst für seine Wohnstuben verlangte, mussten die Künstler immer mehr und immer kleinere Formate herstellen, die der Kunstverein dann erwarb. So veränderte sich nicht nur die ökonomische Praxis, sondern auch das Erscheinungsbild der Kunst an sich. Und weil der Niedergang des höfischen Auftragssystems viele Künstler verunsicherte, wurde der Kunstverein für sie zur willkommenen Alternative.

Kritiker geben zu bedenken, dass das damalige Losverfahren die persönliche Beziehung zwischen Auftraggeber und Künstler anonymisierte. Weil der Kunstverein die Bilder erwarb und somit als eine Art Austauschmedium fungierte, nahm er erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Kunst. Außerdem konnte ein Bild, das über das Losverfahren vergeben wurde, unter Umständen einigen Unmut beim Empfänger auslösen, weil er vielleicht ein anderes bevorzugt hatte. Umgekehrt wollten manche Künstler ihre Werke doch lieber bei berühmten Sammlern hängen wissen als beim Kaufmann um die Ecke.  

Ist die Lage der Kunstvereine paradox?

So erscheint die Lage der Kunstvereine paradox. Einerseits spielen sie seit ihrer Gründung eine zentrale Rolle bei der Vermittlung junger Kunst. Andererseits stehen auch sie in der ständigen Herausforderung, die breite Öffentlichkeit von dieser wichtigen Aufgabe zu überzeugen. Das liegt vor allem an dem sich allgemein wandelnden Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst, das sich seit den 60er Jahren beobachten lässt.

Bis dahin waren es vor allem die Kunstvereine, die der jungen Kunst gegenüber aufgeschlossen waren. Doch seither interessieren sich auch Museen und eine stetig wachsende Zahl von privaten Galerien für die Künstler der Gegenwart. Damit fanden sich die Kunstvereine plötzlich in einer Konkurrenzsituation wieder, die natürlich nicht in ihrem Sinne ist und der sie sich auch nicht beugen sollten. Im Zuge dieser  Entwicklung haben sie vielmehr die Aufgabe, für sich ein neues Selbstverständnis zu entwickeln.

Um so erfreulicher, dass seit Mitte der 90er Jahre wieder ein verstärktes Interesse an der Arbeit der Kunstvereine zu beobachten ist. Eine große Gruppe junger Kuratoren macht es möglich, dass sich die Kunstvereine der Herausforderung, ständig improvisieren zu müssen, stellen und gleichzeitig ihren Vorteil, nämlich nach wie vor sehr flexibel zu sein, nutzen können. Weil viele Kunstvereine auch heute noch hauptsächlich ehrenamtlich geleitet werden, ermöglichen sie interessierten Bürgern, sich unmittelbar mit Kunst zu beschäftigen: Aufbau und Beaufsichtigung von Ausstellungen, Hilfe bei der Hängung von Kunstwerken, die Gestaltung von Werbematerial und das Verfassen von Texten können jeden, der sich dafür engagiert, auch persönlich bereichern – selbst, wenn er nicht zahlendes Mitglied im Kunstverein ist. Denn bei aller Unterschiedlichkeit der heute bestehenden Kunstvereine vereint viele von ihnen die Gemeinsamkeit, dass sich ihre Ressourcen nur noch zu einem geringen Teil aus Mitgliederbeiträgen zusammensetzen. Den Hauptanteil hat in den meisten Fällen der Staat übernommen.

Aber auch andere Modelle sind möglich: Die Förderer des Kunstvereins Wunstorf  stammen hauptsächlich aus der Wirtschaft und tragen so zum Fortbestehen bei. Außerdem stellt die Stadt Wunstorf die Räumlichkeiten in der Abtei an der Wasserzucht zur Verfügung und beteiligt sich jährlich mit einem festen Beitrag an den laufenden Kosten des Vereins.

Kunst rüttelt Menschen auf

Alle diese Modelle geben den  Einrichtungen den Freiraum, immer wieder auch nicht marktfähige Kunst ausstellen zu können und zu fördern. Sie machen Mut zum Experimentieren und auch das Risiko zu wagen.  

Kunst rüttelt Menschen auf und hält den Geist wach. Kunstvereine mit ihrer breit gestreuten örtlichen Präsenz bieten den notwendigen Stoff für lebendigen Meinungsaustausch und leisten damit einen wichtigen Beitrag zu mehr Lebensqualität.  

Quellen

Christoph Behnke: „Zur Gründungsgeschichte deutscher Kunstvereine“. Stephan Berg: „Where Do We Go From Here? Kunstvereine im Spannungsfeld zwischen Damals und Heute”. Heiner Schepers: „Kunstvereine am Scheideweg? So viel Kunstverein war nie! So viel Kunst war nie!“. www.kunstvereine.de  www.wikipedia.de

Dieser Text erschien erstmals 2009 im Buch anlässlich des 25ten Geburtstag des Kunstvereins Wunstorf.

Wir bedanken uns bei unseren Unterstützern.